#4 berufsvorbereitende Bildungsmassnahme: Tag 134

Freitag, 20. Juni 2008

Tag 134

Oh mein Gott. Habe ich schon erwähnt, dass ich kommenden Sonn- und Dienstag Verkehrszählungen machen darf? Sonntag von 12 bis 18 Uhr und Dienstag von 6 bis 9 und von 15 bis 19 Uhr. Ich darf also nun den gesamten verdammten Sonntag im Auto an einer insgesamt zwölfspurigen Kreuzung nahe eines stark frequentierten Erholungsgebietes stehen und in ebensoviele Tabellen wie vorhandene Spuren Striche machen, sortiert nach Fahrrad, Krad, PKW, LKW, Lastzug und Sonderfahrzeuge/Busse. Nicht nur, dass ich alle 15 Minuten eine neue Zeile anfangen muss, damit es nachher viertelstundengenau ausgewertet werden kann, die Überforderung fängt ja schon bei der Unterteilung von LKW und Lastzug an. Und dann darf ich da den ganzen verdammten Tag mit Klemmbrett im Auto sitzen. Aug in Aug mit der anderen armen Seele an der gegenüberliegenden Kreuzungsseite. Wie früher bei den DDR-Grenzschützer(Innen?)n: Immer zu zweit, damit die sich gegenseitig kontrollieren. Einer alleine könnte ja Westagent sein und eventuelle Flüchtlinge einfach gewähren lassen. Mit zwei Menschen die sich jedoch nicht kennen war es jedoch nur sehr schwer möglich, solch ein Verhalten an den Tag zu legen und so haben vermutlich auch Paarungen, die nur aus "systemkritischen" Grenzern bestanden ihr Plansoll an Abschüssen erfüllt. Genug der diffarmierenden DDR-Vergleiche. Schliesslich bin ich ja heut auch mit meinem sowjetrotem, vor 28 Jahren planwirtschaftlich produziertem, Ost-Mopped hier. Ha! Und ich darf damit viel schneller fahren als all die Plastikroller des Klassenfeindes. Wenn die mich da allein hinstellen würden, würd ich mir einfach vorher eine ähnliche Verkehrszählung an einer vergleichabren Situation und Tageszeit hier aus unseren Akten suchen, das in etwa übertragen und mir ein paar blöde Stories einfallen lassen, wie etwa von dem Radfahrer der alle zwanzig Minuten einmal vorbeikam und von dem ich schon dachte er mache es nur um mir meine Statistik zu versauen. Aber das würde wohl auffallen wenn ich nachher da etwas völlig anderes auf den Zetteln stehen hätte als mein Leidensgenosse und meine Zahlen sich exakt mit denen der Zählung zwei Strassen weiter von vor drei Jahren decken würde.
Ich muss also alles daran setzen ihn zu korrumpieren, damit wir nur jeweils die halbe Zeit machen und dann die Ergebnisse ergänzen und einige Fehler einbauen. Das Schlimme ist ja, dass ich da wahrscheinlich noch nicht einmal Geld bekomme, die andere Person jedoch schon. Mistsack. Ich kann ja noch nichtmal den eeePC mit Filmen vollpacken, ich muss ja auf die verdammte Strasse gucken. Und seit ich unter ungeklärten Umständen all meine über 90 Benjamin-Blümchen-Folgen verlor, war ich zu traumatisiert um mir neue Hörspiele oder Hörbücher zu besorgen. Mit Ausnahme von diesem hier.

Das ist mir hier viel zu ländlich!
Ich habe ja schon angedeutet, dass es da bisher zwei getierliche Zwischenfälle hier gab.
Der erste begab sich, als ich die Herrentoilette im Keller aufsuchte und mich nichtsahnend einem auf dem Fensterbrett sitzendem Frosch auf Augenhöhe gegenübersah. Habe ihn natürlich eingefangen und in das angrenzende Miniwäldchen gebracht. Hinderte ihn oder einen Artgenossen jedoch nicht daran, einige Tage später erneut durch das Abdeckgitter des Lichtschachtes zu fallen. Allerdings liess sich dieser Frosch dann nicht einfangen und harrte drei Tage in einer kleinen Röhre aus, ehe ich ihm eine Leiter aus einer alten Papprolle des Plotterpapiers basteln konnte. Welche mittlerweile ziemlich eklig durchgeweicht sein dürfte.
Die zweite Begebenheit liegt weniger lang zurück und bestand aus einer direkt vor der Eingangstür zischelnden Blindschleiche. Ich Stadtkind dachte natürlich sofort an an einen langsamen Tod durch Muskelversagen und ein In-Gänze-Verschlungenwerden. Woher soll ich auch Blindschleichen von todbringenden Teufelsschlangen zu unterscheiden wissen? Habe sie dann natürlich ebenfalls in die angrenzende Wildnis gebracht.
Vorhin rannte nun hier erst einmal ein Eichhörnchen durch den Garten direkt vor meinem Fenster. Mir reichts langsam. Auf der abstrakten politischen Ebene bin ich natürlich solidarisch mit all diesen Kreaturen, aber bei der direkten, persönlichen Konfrontation find ich die dann nicht so cool. Oder um es mit einem antispeziesistischen Genossen zu sagen: ""Tierfreund"? Ich bin doch kein Tierfreund! Ich bin doch auch kein "Migrantenfreund" oder "Frauenfreund"!"
Ich halte es da eher mit Robotern. Heut müsste auch mein neulich erstandener Meerschweinchenbot aus Englang eintreffen. Bin schon arg gespannt. Hab ja nicht umsonst vorher genügend Fachliteratur gelesen. Und ja, mir ist klar, dass dieser Roboter das Mensch-Tier-Verhältnis in Sachen Haustierhaltung zu Ungunsten einer emanzipatorischen Perspektive verfestigt. Aber das kriegen ja wenn überhaupt dann eh nur verrückte VeganerInnen zu Gesicht. Bei denen ist es auch egal.

Na gut, jetzt erfahre ich grad, dass ich doch nur sechs Spuren zu zählen habe Sonntag. Trotzdem werde ich ersteinmal nicht von meinem Plan die Kreuzung entweder Samstag nacht mit Schutt und Geröll zu verbarrikadieren oder, eleganter, mit einer Handvoll Strassensperren die zu diesen public-viewing-Zeiten an jeder zweiten Kreuzung stehen und auch stehen gelassen werden, dicht machen. Uncool klingt jedoch, dass ich wohl mit dem anderen Zähler in einem Wagen sitzen soll. Wenn ich mich schon sech Stunden langweilen soll, dann doch bitte allein und ohne Zwangskonversation. Aber Ähnliches habe ich auch in der Vergangenheit schon durchgestanden. Ich werds schon schaffen.

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