#4 berufsvorbereitende Bildungsmassnahme: Tag 47

Donnerstag, 17. Januar 2008

Tag 47

1.Akt
Exposition

2.Akt
Das erste, weder von Ernst Busch noch der Nachrichtenfrau, gesprochene Wort des Tages war „Kameradschaft“. Und zwar auch so wie mensch „Kameradschaft!“ auszusprechen hat. Kam von irgendeinem Mädchen am Eingang zur Berufsschule. Im Treppenhaus hatte ich dann drei so Nerds hinter mir, die über irgendein Computerspiel geredet haben:
„Ja, ich spiel jetzt nur noch Österreich. Das sind wenigstens Deutsche!“
Nach der ersten Stunde lief ich erst einmal einer gut gefüllten Thor-Steinar-Jacke in die Ärmel.
Die nächste Stunde wird „Deutsch“ sein. Bei so vielen Vorzeichen hätte ich ahnen müssen, was folgte.

3.Akt
HERR HEßLING*. Deutsch reden! Deutsch denken! Deutsch handeln! (die türkischen TeilnehmerInnen meinend)
RALF NASE. Was soll das denn heissen? „Deutsch reden“ ist ja noch sinnvoll, aber solche Sprüche können sie sich wirklich sparen!
HERR HEßLING. Nein warum denn? Wir sind hier in Deutschland und hier wird deutsch geredet!
RALF NASE. Und was soll das mit “Deutsch denken! Deutsch handeln!“? „Deutschland denken, heißt Auschwitz denken“!
HERR HEßLING. Was soll das denn jetzt? Das ist doch Unsinn.
RALF NASE. Das haben Leute gesagt, die sehr viel mehr auf dem Kasten hatten als sie!
HERR HEßLING. Ich muss mich hier doch nicht rechtfertigen vor ihnen! Hier wird deutsch geredet und ich brauche mit ihnen hier auch über gar nichts diskutieren!
RALF NASE. And what do you mean with „Think german! Act german!“? What is it?
HERR HEßLING. Warum reden sie denn jetzt englisch? Was soll denn das bringen?
RALF NASE. I just don’t want to do what you tell me! Tell me what you mean with “Act german!”?
HERR HEßLNG. Jetzt reden sie aber mal wieder Deutsch! Und ich brauche ihnen gar nichts erklären!
RALF NASE. Tell me what you mean with it! Now!
HERR HEßLING. Ach kommen sie! Was soll das denn jetzt? Jetzt reden sie doch mal wieder so, dass man sie auch versteht!
RALF NASE. Was sollen ihre Sprüche von „Deutsch denken! Deutsch handeln!“? Erklären sie das mal! Los!
HERR HEßLING. Ach das war doch eher ääh als Witz gemeint…
RALF NASE. Das findet niemand hier lustig. Also sagen sie jetzt endlich, was „deutsches Handeln“ ist!
HERR HEßLING. Ich brauche mich nicht verteidigen! Ausserdem war das ja eh nur ein Witz…
RAL NASE. Das war schon das zweite Mal, dass sie diesen Spruch gebracht haben, also muss das ja irgendwas bedeuten. Nun erklären sie schon!
HERR HEßLING. Ich erkläre hier gar nichts! Ich kann ihnen das nachher erklären…
RALF NASE. Nein! Das geht ja nicht nur mich etwas an! Sie erklären jetzt der ganzen Klasse, wie „deutsches Denken“ und „deutsches Handeln“ aussehen! Jetzt und hier! Los!
HERR HEßLING. Seien sie doch ruhig! Wir fangen jetzt an.
RALF NASE. Tragen sie mich als fehlend ein! (steht auf, zieht seine Jacke an, nimmt seinen Rucksack und geht zur Tür)
HERR HEßLING. (flehend) Ach nun bleiben sie doch bitte sitzen!
(Ralf Nase ab.)


4.Akt
Ich ging davon aus, dass die nächste Stunde mit einer Standpauke beginnen und in eine hitzige Diskussion münden würde. Habe schliesslich schon einmal mit unserem Klassenlehrer einen Streit vom Zaun gebrochen. Nach 30 Minuten Frühstück im Auto konnte ich jedoch noch einen Blick auf die Anwesenheitsliste und ins Klassenbuch werfen, bevor er ankam.


5.Akt
Ich wurde als anwesend geführt und Herr Heßling hat keinerlei Anmerkung im dafür vorgesehenen Feld im Klassenbuch hinterlassen.
Da er gegen Ende der Diskussion immer kleinlauter wurde und alles daran gesetzt hat der Situation zu entfliehen, jedoch anscheinend zu stolz war, um zurück zu rudern, scheint es mir plausibel, dass er den ganzen Vorfall unter den Tisch fallen lassen will. Jetzt ist die Frage, wie ich mich nächste Woche verhalte:
Wenn an meiner Theorie etwas dran ist, wird er buckeln und jede Konfrontation vermeiden wollen, damit wir die Sache nicht doch noch mit Klassenlehrer und/oder Schulleitung besprechen.
Wenn ich falsch liege, wird er so weitermachen wie bisher oder sogar noch eins draufsetzen wollen.
Für Fall zwei werde ich vorher noch einmal mit den linkeren Menschen der Klasse und der Klassensprecherin reden und vorschlagen, dass wir, sollte es wieder so etwas bringen, geschlossen den Unterricht verlassen. Gut, bei der NPD im sächsischen Parlament hat diese Strategie auch nicht geholfen, aber da gab es ja keine Schulleitung, bei der mensch hätte petzen können.
„Häufig ist jedoch der äußere Untergang, der Tod, mit einem inneren Sieg und der Verklärung des Helden/der Heldin verbunden.“**
Das mit dem Tod lassen wir mal lieber. Aus Sicht der Berufsschule, denke ich, kann mein Feierabend als „äußerer Untergang“ gewertet werden. Das mit dem inneren Sieg stimmt natürlich. Plus der äussere Sieg, den mir der Applaus beim Verlassen der Klasse bescherte.
Damit wären ja wohl alle Kriterien des Herrn Freytag erfüllt, und ich bin jetzt offiziell ein Held.
Na gut, aber wenigstens Protagonist will ich sein!

Der dramatische Tag reicht als Inhalt für heute aus. Die Schilderungen des Menschen, der sich sein Brusthaar fein säuberlich aus seinem extra dafür geöffneten Polo-Shirt kämmt, die ich schon gestern bringen wollte, fällt daher aus. Freut euch. Ich kann seit zwei Tagen nirgends andes mehr hinschauen wenn er im Raum ist. Es ist wie bei einem Autounfall:
Es ist schrecklich aber trotzdem werden alle langsamer wenn sie vorbeifahren.


* Name von der Redaktion geändert.
** „Texte, Themen und Strukturen“ 1999 Cornelsen Verlag, Berlin, S.165

3 Kommentare:

R. R. R. hat gesagt…

Applaus auch von mir! Für die Aktion und den wunderbar zu lesenden Text! Bitte mehr!

R.Nase hat gesagt…

Du bist Theatermensch. Dein Lob zählt nur halb. Du bist voreingenommen.

Laika hat gesagt…

Ein Lob von einem nicht-Theatermenschen. Gute Aktion!