#4 berufsvorbereitende Bildungsmassnahme: Tag 59

Montag, 4. Februar 2008

Tag 59

„In the world of primate research, scientists are strongly discouraged from establishing a personal relationship with the creatures they study.“1

Ich bin die Jane Goodall des Bildungszentrums. Eigentlich wollte ich ja die Affen (Oha! Speziesistische Beleidigung. -1 Szenepunkt) hier um mich herum distanziert studieren. Aber wie das halt so ist, habe ich angefangen ihnen Namen zu geben und nun bin ich soweit in diesen emotionalen Sumpf gerutscht, dass ich einige der Leute hier sogar mag.

“Most research centers number their monkeys and apes rather than naming them, often tattooing numbers into the animals' skin for easy identification.“1

Gut, dass mit den tätowierten Nummern klingt schon ziemlich zynisch und schreit geradezu nach reaktionären SzeneveganerInnen die „holocaust on your plate“ schreien. Übergehen wir das einfach.
Ich habe meine Studienobjekte mittlerweile in meiner InstantMessenger-Liste, wurde sogar von einem schon mal – wenn auch weniger aus privaten Gründen – angerufen und habe hier eine mehr oder minder feste Clique in der ich mich bewege. Aufmerksame LeserInnen mögen schon geahnt haben, dass es sich um die Gruppe um die bereits erwähnten Gefühlslinken handelt. Dazu kommen dann noch ein zwei trendige, mit Playboyinsignien im Übermaß behängte, R’n’B-Menschen, ein Emo-Mensch und ich. Insgesamt also eine ganz gute Mischung. Die gemeinsamen Nenner sind einmal, dass die Anderen alle hin und wieder hier gern kiffen, aber ausschlaggebend dürfte wohl tatsächlich sein, dass diese Gruppe hier die intelligenteste und zivilisierteste darstellt.
Ja klar ist immer die Gruppe, in der ich mich bewege, per definitionem die intelligenteste und zivilisierteste und so weiter, aber ich behaupte, dass es in diesem Fall auch objektiv messbar wäre. Falls es eine wissenschaftliche Skala für solche Kategorien gäbe. Es reicht wohl für eine grobe Unterscheidung in „Leute die direkt vorm Eingang stehend beim Rauchen auf den Boden spucken“ und „Rest“ zu differenzieren. Dann bleiben eben nur noch die genannten übrig.
Naja, worum es geht, ist wohl einfach nur, dass es hier doch einige Leute gibt, in deren Umfeld ich mich wohl fühle. Und teilweise ist das sogar über den Zweckgemeinschaftscharakter hinaus, der sich wohl zwangsläufig einstellt, wenn Menschen mit Umgangsformen (Okay zugegeben, der eine rennt hier heute in Jogginghose rum und sieht aus als trüge er noch seinen Schlafanzug, aber er entschuldigt es wenigstens mit dem letztnächtlichem Superbowl, der ihn vom Schlafen abhielt und seinen morgendlichen Autokorso noch in einen Polizeieinsatz münden liess.) auf solche treffen, die ihr Brusthaar aus dem Hemd kämmen und den übelsten Auswurf spucken, sobald sie auch nur ahnen, sie seien im Freien. Immerhin im Freien.

“Even those who admired her style worried about her lack of objectivity.”1

Aber nun zu viel Schlimmeren:
Heute wird hier in dieser Stadt Karneval gefeiert. Das läuft traditionell so ab, dass sich von 13 Jahren an aufwärts, alles was sich für lustig hält in der Innenstadt trifft um sich ab 9 Uhr morgens zu betrinken. Ich weiss wie das aussieht: Ich war vor etlichen Jahren mit dabei und glaubt mir, es ist ein trauriger Anblick.
Leider muss ich nach den zwei Blöcken die wir heute karnevalsbedingt nur haben noch in die Innenstadt. Im Moment befinden wir uns hier in dem Gebäude ausserhalb des Walles und somit durch einen Bahndamm von den trinkenden Massen getrennt. Ich habe verzweifelt drauf geachtet heute sogar Kopfhörer und portables Musikgerät mitzunehmen, damit ich das Elend wenigstens akustisch ausblenden kann. Ich will da nicht hin.

Die zwei Blöcke bis dahin verbringen wir mit unserem EDV-Qualifikationsbaustein. Bedeutet, wir bauen mit Word Dokumente und Tabellen nach. Ist nicht so blöd wie es sich jetzt anhört, da ich bisher tatsächlich einige Kniffe lernen konnte.
Auf mein Nachfragen, ob sich denn schon alle aus dem Religionskurs an der Berufsschule abgemeldet hatten, entwickelte sich eine kurze theologische Diskussion mit meiner Banknachbarin. Denn ich hatte klargemacht, dass es sehr wohl eine grundsätzliche Frage sei und dass ich keine Lust hätte da zu sitzen und mir von irgendwelchen ChristInnen was erzählen zu lassen. Habe dann natürlich noch „oder Muslems, Juden, Buddhisten oder sonst wen“ hinterhergeschickt, nachdem von meiner Nachbarin, die in einigen Diskussionen ob ihres Kopftuches bisher beunruhigend überzeugt argumentieren konnte, eine enthusiastische Zustimmung kam. Als ich dann erklärte, dass ich von Religion und Gott und so nicht wirklich viel halte wurde ich mit dem mitleidigsten Blick seit Jahren bedacht.

So die einzige Pause heute ist rum. Mit den wenigen Menschen meiner Crew die heute den Weg hierhin fanden einen rauchen gewesen. Beziehungsweise dabei zugesehen, wie sie sich komplett lächerlich machten beim Versuch unauffällig auszusehen.


1. “The Primatologist”, Deborah Blum, The New York Times, 26.11.2006

4 Kommentare:

R. R. R. hat gesagt…

Ich habs geschafft und lebe noch!

Allerdings bin ich jetzt schon wieder ein stückchen misanthropischer geworden: die menschen hier sind ja noch hässlicher als sonst.

R.Nase hat gesagt…

Tja dafür waren bei mir alle Geschäfte die ich brauchte heute ganztägig geschlossen...

Anonym hat gesagt…

ich verfolge deinen blog schon länger und finds doch schon ziemlich interessant und amüsant. viel spaß, erfolg oder was weiß ich was man da gebrauchen kann.

R.Nase hat gesagt…

Vielen Dank.
Und Glückwünsche zum hervorragenden Profilsongmusikgeschmack!